12.05.2023 Tag der Pflegenden – Wir müssen die Kranke(n)Pflege heilen

 12.05.2023 Tag der Pflegenden – Wir müssen die Kranke(n)Pflege heilen

Zum Tag der Pflegenden 2023 fordern die Heimbetreiber von ASPIDA eine Reform des Gesundheitswesens über alle Versorgungsbereiche. Das Thema ist nicht neu, aber noch immer ungehört von der Politik.Die gesetzliche Pflegeversicherung ist eine Errungenschaft unserer solidarischen Gesellschaftsordnung und steht für soziale Sicherung in einer Lebensphase, in der es ohne fremde Hilfe nicht mehr geht. Mit der immer weiter steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden zu. Doch das System ist nicht mehr das, was es mal war. Viele Pflegereformen haben es in den letzten Jahren immer weiterentwickelt, aber auch immer komplexer gemacht. So sehen sich heute Pflegebedürftige und Angehörige einem hochkomplexen System konfrontiert, welches auch für Experten schwer zu verstehen ist. Ambulant, Stationär, Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege, Verhinderungspflege, Entlastungsleistungen, Umwidmung von Ansprüchen, Deckelung der Kosten oder Dauer, sind nur ein Teil des Verwirrspiels, welches Betroffene lösen müssen, um Zugang zu der für sie richtigen Leistung zu finden. Ein Teil der Leistungen bezahlt die Pflegeversicherung, einen Teil die Krankenversicherung – aber auch nur in der ambulanten Versorgung-, einen weiteren Teil muss man selbst tragen. Dieser Dschungel ist für die Menschen in einer sich oftmals akut verschlechternden Lebenssituation nicht zu überblicken.

Neben den organisatorischen Fragen bleibt aber auch die Frage nach der Finanzierbarkeit. Kann ich mir Pflege leisten? Diese Frage ist gegenwärtiger denn je. Denn durch die letzten Reformen wurden die Rahmenbedingungen für zugelassene Pflegeeinrichtungen nochmals deutlich enger gefasst. So sind die Anbieter seit September letzten Jahres verpflichtet, Entgelte auf Tarifniveau zu zahlen. Dieser Punkt ist in jedem Fall ein Meilenstein für die Beschäftigten und längst überfällig, aber die Freude hierüber kehrt sich schnell um, wenn man feststellt, dass die dadurch entstehenden Mehrkosten vollständig von den Betroffenen zu zahlen sind. „Der Gesetzgeber hat es in den letzten Jahren schlichtweg verpasst, das Leistungsrecht anzupassen“ so Christophe Holzapfel, Einrichtungsleiter des ASPIDA Pflegecampus Plauen. „Mit den Reformen haben wir viel für unsere Mitarbeiter tun können, stehen aber auch vor der Herausforderung, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind“ so Holzapfel weiter. Tatsächlich ist es so, dass die Heimentgelte in den letzten Jahren immer weiter gestiegen sind. So lagen die durchschnittlichen Eigenanteile am Heimentgelt bereits im Juli 2022 bei ca. 2.200 EUR pro Monat – also vor Inkrafttreten der jüngsten Reform. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. „Vor der Reform lag das Entgelt in unserem Haus in Plauen bei ca. 2.210 EUR, seit September letzten Jahres bei knapp über 3.000 EUR pro Monat“ erklärt Holzapfel die Auswirkungen auf die ASPIDA Pflegeeinrichtung in Plauen.

Statt in Folge dieser absehbaren Entwicklung die Leistungen der Pflegeversicherung direkt zu erhöhen, hat der Gesetzgeber versucht nachzubessern und eine prozentuale Entlastung auf das monatliche Entgelt in Abhängigkeit der Dauer der stationären Unterbringung festgelegt. Nicht nur, dass diese Regelung ein weiterer Baustein in der Komplexität der Finanzierungslogik ist, so kommt auch hier ein weiteres Problem zum Tragen. Die Entlastung beträgt im ersten Jahr des Aufenthalts nur lediglich 5 % der Kosten für pflegebedingten Aufwand und Ausbildungskosten. In den letzten Jahren ist die Aufenthaltsdauer in Pflegeeinrichtungen immer weiter gesunken. Oftmals versterben die Bewohner bereits im ersten Jahr, so dass die Entlastung, welche in den Folgejahren auf bis zu 70 % anwächst bei einem Großteil der Versicherten nicht ankommt. In weiteren Kostenpositionen, welche durch die hohe Inflation ebenfalls von der Preisspirale betroffen sind, kommt die Entlastung ebenfalls nicht an. Unterkunft und Verpflegung, sowie die sogenannten Investitionskosten, welche dazu dienen, die Immobilie und Ausstattung zu refinanzieren, sind grundsätzlich von den Betroffenen zu leisten. An diesen Kosten beteiligt sich die Pflegeversicherung nicht, da sie von vornherein als sogenannte Teilkaskoversicherung aufgelegt wurde. Die Frage nach der Finanzierbarkeit für die Pflegebedürftigen ist daher mehr als dringend. Die Tatsache, dass die durchschnittlichen Zuzahlungen bereits heute deutlich über der Standardrente von 1.598,40 EUR pro Monat (neue Bundesländer, 45 Beitragsjahre mit Durchschnittsentgelt, Quelle: Rentenversicherung in Zahlen 2022, Deutsche Rentenversicherung) liegen und die tatsächliche Durchschnittsrente deutlich darunter liegt, sollte längst die Alarmglocken der Politik auslösen. Die durchschnittliche monatliche Altersrente in den neuen Bundesländern liegt bei lediglich 1.292 EUR für Männer und 737 EUR für Frauen (Quelle: Rentenversicherung in Zahlen 2022, Deutsche Rentenversicherung). Die zu schließende Lücke ist demnach dramatisch hoch und im Prinzip für die Versicherten nicht leistbar. Die Folge ist, dass ein Großteil der Pflegebedürftigen auf Sozialhilfe angewiesen sein wird, da die Angehörigen erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 EUR unterhaltspflichtig werden. „Vor 10 Jahren hatten wir in unseren Häusern noch einen Anteil von ca. 3 % an Sozialhilfeempfängern, jetzt steuern wir auf bis zu 90 % zu und es ist kein Ende in Sicht“ erklärt Sebastian Thieswald, Inhaber und Geschäftsführer der zwei ASPIDA-Pflegeeinrichtungen. Das Problem ist schnell erkannt. Die Kosten werden aus der gesetzlichen Pflegeversicherung in die Sozialhilfe verlagert. Somit sind die Kommunen in der Pflicht, im Rahmen der „Hilfe zur Pflege“ Unterstützung zu leisten, was die Städte und Gemeinden über die Belastungsgrenze führen wird. Da die Leistung der Hilfe zur Pflege jedoch eine kommunale Pflichtaufgabe ist, muss an anderer Stelle wie Kultur-, Sport- und Wirtschaftsförderung gespart werden. Ein Fakt, der schnell alle Einwohner trifft, unabhängig von deren Gesundheitszustand.

Für den Unternehmer Thieswald geht das Problem aber an anderer Stelle noch weiter. „Der Sozialhilfeträger finanziert nicht alle Leistungen auskömmlich, was die Existenz – insbesondere von modernen – Pflegeeinrichtungen bedroht.“ Schaut man sich diese Argumentation genauer an wird deutlich, dass der Sozialhilfeträger tatsächlich die Erstattung der Investitionskosten für die Refinanzierung der Immobilien faktisch auf einen fiktiven Betrag deckelt, welcher keine Grundlage findet. So werden auch nachgewiesene Kosten, welche zum Beispiel durch gestiegene Baupreise entstanden sind, nicht anerkannt. Die Krux dabei ist, dass hierdurch besonders neuen Pflegeeinrichtungen, welche die Versorgungslandschaft in den letzten Jahren deutlich aufgewertet haben und somit für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen gesorgt haben, die Existenzgrundlage entzogen wird. Wollen wir als Gesellschaft jedoch weg vom Negativimage der Pflege und den Beruf attraktiv machen sind genau diese Häuser wichtig, um die Versorgung der Pflegebedürftigen zu sichern. „Die an uns gestellten Rahmenbedingungen der Aufsichtsbehörden führen auch zu notwendigen Investitionen – diese müssen refinanziert werden und wer Qualität fordert, darf sich bei der Finanzierung nicht aus der Affäre ziehen“ bemerkt Thieswald weiter. Rechnet man den Effekt für die von ihm betriebene Pflegeeinrichtung im sächsischen Plauen einmal nach, so kommt man auf einen ungedeckten Betrag von 250.000 bis 300.000 EUR pro Jahr, mit welchem er quasi den Sozialhilfeträger subventioniert, weil ihm nachgewiesene Kosten nicht anerkannt werden. Dies ist de facto nicht möglich.

Egal in welchen Bereich man schaut wird deutlich, das System ist krank und es braucht dringend eine Veränderung. Thieswald und Holzapfel formulieren dabei eine klare Forderung „wer eine Krankheit heilen will, darf nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern muss an die Ursache ran – hierfür braucht es eine durchdachte, abgestimmte Reform des gesamten Gesundheitswesens. Die reine Bekämpfung der Symptome sowie der punktuelle Aktionismus der letzten Jahre müssen aufhören.“ Auf die konkrete Frage, wie das gehen könne, liefern die beiden Branchenexperten mit jahrzehntelanger Erfahrung sofort Ideen. Interessant ist der Ansatz, den die „Initiative Pro Pflegereform“ vorstellt. Dieser bedeutet einen Systemwechsel, welcher einerseits finanzierbar ist und dennoch mit den zuvor benannten Grundproblemen aufräumt. So werden hier die Sektoren ambulant und stationär aufgelöst und eine generelle Änderung der Bezahlung von Pflege vorgestellt. Nach dem Modell soll die Pflegeversicherung den dynamischen Anteil zahlen und die Versicherten einen festen Sockelbetrag. Bislang ist dies genau andersherum. Des Weiteren soll, unabhängig von dem Ort der Unterbringung, die Krankenkasse für die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege aufkommen. Auch dies würde die Eigenanteile massiv entlasten. Der Vorschlag ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Der Ansatz ist seit Jahren unter Federführung von Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung und weiteren renommierten Vertreterinnen und Vertretern der Sozialwirtschaft erarbeitet und sogar wissenschaftlich in Bezug auf Machbarkeit und Finanzierbarkeit untersucht.

Aufgrund der aufgezeigten Probleme wundert man sich nicht über Thieswalds abschließenden Appell: „Bislang hat die Politik nicht hingehört und ihre eigene Suppe gekocht. Sie sollte den Menschen zuhören, die mit Herz und Verstand täglich ihr Bestes geben, um die hochwertige Versorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland langfristig zu gewährleisten.“

Tatsächlich würde es der Politik gut stehen, den Betroffenen, aber auch den Menschen, die in ihrer täglichen Arbeit mit den Gesetzen und Verordnungen konfrontiert sind, zuzuhören und nicht eigene Lösungen am Schreibtisch zu entwickeln. Der Gesetzgebungsprozess muss in solch wichtigen Bereichen wie Pflege und grundsätzlicher sozialer Sicherung unabhängig von parteipolitischen Interessen erfolgen.

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Publiziert durch connektar.de.

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